Homöopathie für Querschnittgelähmte

Eindrücklicher Beitrag von der Arbeit

von Mohinder Singh Jus

Beitrag aus der Zeitschrift Simila Nr.93 - 1/2015.

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil erweitert sein Angebot um eine zusätzliche komplementär-medizinische Dienstleistung: Ab dem 15. Januar 2015 wird während einer sechsmonatigen Pilotphase in enger Zusammenarbeit mit der SHI Homöopathischen Praxis Zug ein Konsiliardienst für die homöopathische Behandlung in Nottwil eingerichtet.

Homöopathen der SHI werden während einer Pilotphase zunächst bis Juni 2015 in Nottwil homöopathische Behandlungen für Querschnittgelähmte anbieten. Stösst diese Dienstleistung auf Interesse, wird das Angebot weiter geführt. «Dies stellt eine wichtige Erweiterung unseres umfassenden Behandlungsspektrums dar, vor allem bei chronischen Gesundheitsstörungen; Homöopathie ist somit eine ideale Ergänzung unseres therapeutischen Angebots» erläutert Prof. Dr. med. Jürgen Pannek, Chefarzt Neuro-Urologie im SPZ.

Gute Erfahrungen zeigen Wirkung

In der Neuro-Urologie des SPZ wurden bereits sehr gute Erfahrungen gemacht bei der Behandlung und Vorbeugung von Harnwegsinfekten von querschnittgelähmten Patienten. Zudem berichten Betroffene über verbesserte Darmfunktion und weniger Spastik (Muskelkrämpfe). Prominenter Befürworter dieser Methode ist der verunfallte ehemalige Skirennfahrer Silvano Beltrametti, dessen Harnwegsinfektion sich durch die homöopathische Behandlung durch Dr. Mohinder Singh Jus von der SHI Homöopathie Schule in Zug laufend verbessert hat. «Ich glaube an die Wirkung der Homöopathie, sie hat mir die Lebensqualität zurück gebracht.» Ausserdem kann die homöopathische Behandlung z.B. bei urologischen Erkrankungen, bei Dekubitus (Wundliegen), bei Sexualstörungen, Infektneigung oder bei psychischen Verstimmungen eingesetzt werden. Oftmals sind es genau diese Probleme, die für die Querschnittgelähmten schwerer zu ertragen sind als die Tatsache, nicht mehr laufen zu können.

Ein zusätzliches Plus in der Rehabilitation

Das Angebot wird ab Januar 2015 zunächst für alle stationären Patienten eingerichtet, die eine homöopathische Behandlung wünschen. Sind kurzfristig an den Konsiltagen noch Termine frei, können auch ambulante Patienten vom neuen Angebot profitieren. Die Kosten während der Pilotphase werden von der Dr. B. K. Bose-Stiftung übernommen.
Die Homöopathie-Sprechstunde findet jeweils donnerstags von 13.30 bis 17.30 Uhr im Zentrum für Schmerzmedizin statt: 15. Januar, 26. Februar, 12. März, 26. März, 16. April, 30. April, 7. Mai, 28. Mai und 18. Juni 2015.

Ganzheitlich und interdisziplinär
Ein ganzheitlicher Therapieansatz ist für eine optimale Akutbehandlung, Rehabilitation und lebenslange medizinische Betreuung unumgänglich. Patienten im SPZ steht eine breite Palette klassisch-medizinischer sowie komplementär-medizinischer Angebote zur Auswahl. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen Fachgebiete ist während der Rehabilitation der Querschnittgelähmten massgeblich, damit die Betroffenen rasch wieder selbständig und selbstbestimmt zurück in ihr eigenes Leben können. Homöopathie wird im SPZ nebst dem klassischen medizinischen Angebot unterstützend eingesetzt.




Prof. Dr. med. Jürgen Pannek, Chefarzt Neuro-Urologie, setzt sich für die ganzheitliche Therapie im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil ein.


 

Dr. Mohinder Singh Jus von der SHI Homöopathie Schule in Zug wird einer der Konsil-Ärzte im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil.

 

 

 

 

Anwendungsmöglichkeiten der Homöopathie in der Neuro-Urologie

Jürgen Pannek, Susanne Pannek-Rademacher*, Martine Cachin Jus*, Mohinder Singh Jus*

Neuro-Urologie, Schweizer Paraplegiker-Zentrum, Nottwil, Schweiz, und SHI Homöopathie Praxis*, Zug, Schweiz

Einleitung

Der untere Harntrakt unterliegt einer komplexen nervalen Steuerung. Voraussetzung für eine Kontrolle der Speicher- und Entleerungsfunktion ist eine intakte Innervation. Eine Rückenmarkverletzung bewirkt einen partiellen oder vollständigen Verlust der zentralen Steuerung des Harntrakts [Stöhrer]. Daher entwickeln nahezu alle Personen mit einer Rückenmarkverletzung (spinal cord injury: SCI) eine neurogene Blasenfunktionsstörung (nBFS). Ja nach Ausprägung der Funktionsstörung sind nBFS langfristig mit objektiven (z.B. Nierenschädigung durch Harnabflussbehinderung oder Reflux) und/oder subjektiven (z.B. eingeschränkte Lebensqualität durch Inkontinenz oder symptomatische Harnwegsinfekte) Risiken verbunden. Bei Patienten mit suprasakraler Querschnittlähmung stellten Komplikationen auf urologischem Gebiet lange Zeit die häufigste Todesursache dar. Erst durch Verständnis der Pathophysiologie und der Etablierung einer geeigneten Diagnostik konnte eine effiziente Therapie eingeleitet und somit die Mortalität substantiell reduziert werden [Stöhrer].

Die wichtigsten Risikofaktoren für eine Schädigung des oberen Harntrakts sind ein erhöhter Detrusordruck in der Speicherphase (>40 cm H2O), eine eingeschränkte Elastizität (Detrusorcompliance < 20 ml/cm H2O), ein vesiko-renaler Reflux und das Vorliegen einer Detrusorüberaktivität in Kombination mit einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD) [Gerridsen].

Durch eine Blasendruckmessung (Urodynamik) können die funktionellen Risikofaktoren für den oberen Harntrakt quantifiziert und die Form der Blasenfunktionsstörung bestimmt werden [Nosseir].

Wichtigstes Therapieziel ist die Protektion des oberen Harntrakts. Die größte Gefahr einer Nierenfunktionsschädigung besteht in einem permanent erhöhten intravesikalen Druck. Da eine Wiederherstellung der geschädigten Nerven im Rückenmark bis heute nicht möglich ist, erfolgt die Behandlung der nBFS durch eine maximale Senkung des Drucks in der Blase. Hierzu stehen medikamentöse (Antimuskarinika) minimal invasive (Botox®) oder operative (z.B. Blasenaugmentation mit Darmanteilen, Implantation eines Blasenstimulators) Behandlungsverfahren zur Verfügung. Durch eine vollständige Ruhigstellung der Blase sind die intravesikalen Drucke ausreichend niedrig, um einen Schutz der Nierenfunktion zu gewährleisten, jedoch ist meist keine willkürliche Entleerung mehr möglich; die Patienten müssen lernen, sich selber zu katheterisieren (intermittierender Selbstkatheterismus; ISK) [Stöhrer].
Einsatzmöglichkeiten der Homöopathie

Harnwegsinfektionen

Harnwegsinfekte (HWI) treten bei Personen mit nBFS gehäuft auf. Mögliche Ursachen hierfür sind eine nicht ausgeglichene Speicherung und Entleerung von Urin. Auch durch den intermittierenden Katheterismus zur Blasenentleerung ist das Risiko für Infekte erhöht. Wenn morphologische Ursachen ausgeschlossen wurden, kommen medikamentöse Prophylaxemassnahmen zum Einsatz. Leider existiert weder für eine Langzeit-Antibiotikagabe noch für eine Harnansäuerung oder eine Phytotherapie (z.B. mit Kapuzinerkresse und Meerrettich, Preiselbeerextrakte) ein evidenzbasierter Wirkungsnachweis; einige Therapien haben jedoch signifikante Nebenwirkungen [Pannek].

In einer retrospektiven Fallserie konnte durch eine additive konstitutionelle homöopathische Therapie mit Einzelmitteln bei 8 Patienten mit mehr als 3 symptomatischen HWI pro Jahr die Infektrate drastisch reduziert werden. Alle Patienten litten unter einer neurogenen Blasenfunktionsstörung mit mindestens 3 HWI/Jahr trotz urologischer Standard-Prophylaxe. Die homöopathischen Mittel wurde nach den Prinzipien der klassischen Homöopathie ausgewählt, d.h. basierend auf der Totalität der Symptome des individuellen Patienten wurde ein Einzelmittel in hoher Potenz (meist LM1) ausgewählt [Linde]. Obwohl die Behandlung konstitutionell war, wurden Mittel mit einem Tropismus zum unteren Harntrakt und Katheterisierung, wie Staphysagria und Lycopodium, am häufigsten verwendet. Bei HWI unter Therapie konnte durch eine Intervention mit z.B. Berberis, Benzoicum acidum bzw. Oleum Terebinthinae Tropfen eine antibiotische Behandlung häufig vermieden werden, bei Patienten mit langjähriger Antibiotika-Therapie in der Anamnese wurde oft Nux vomica erfolgreich eingesetzt [Pannek Jus].

Bei einem Follow-up von 15 Monaten sank die HWI-Rate von im Mittel 7,2 HWI/Jahr auf 1,3 HWI/Jahr. Fünf Patienten waren infektfrei, bei 3 Patienten war die HWI-Frequenz rückläufig.

Basierend auf diesen positiven Erfahrungen haben wir eine prospektive, randomisierte, kontrollierte Studie initiiert, deren endgültige Ergebnisse noch ausstehen.

Fallbeispiel

Die Blasenentleerung bei dem 24-jährigen Mann mit inkompletter Paraplegie sub Th4 seit 2008 erfolgte mittels ISK. Seit 2 Jahre litt er unter rezidivierenden HWI (11/Jahr) mit E. coli und Klebsiellen. Er berichtete über brennende Schmerzen und zunehmende Spastik in den unteren Extremitäten, war erschöpft trotz gutem Schlaf, hatte Angst vor Hunden und Operationen. 03/2011 erhielt er Staphysagria LM3. 06/2011 erlitt er ein HWI-Rezidiv, berichtete aber über mehr Energie, alte Symptome kamen wieder; daher wurde das Mittel nicht geändert. 10/2011 trat erneut ein HWI auf, zudem klagte er über Nasenbluten, war erschöpft, zog sich zurück, und war auffallend ungeduldig. Nach Phosphorus LM1 bis heute kein HWI mehr.

ODER
Ein 45-jähriger Mann mit inkompletter Tetraplegie sub C7 seit 1999 litt seit 9 Jahren unter 12 HWI/Jahr, teils fieberhaft, mit wechselnden Erregern. Die Blasenentleerung erfolgte mittels ISK. Er litt unter Höhenangst konnte nicht weinen, und erhielt somit primär 04/2011: Lycopodium clavatum LM1. Hierunter weniger HWI-Rezidive, die jeweils mit Benzoicum acidum Tropfen bzw. Oleum Terebinthinae Tropfen therapiert wurden. 03/2012 entwickelte er eine Prostatitis, die mit Lycopodium clavatum LM 4 therapiert wurde, sonst keine HWI mehr. 01/2013 traten nach psychischer Belastung wieder mehr HWI auf; nach Staphysagria LM1 bis heute nur noch1 HWI.

ODER

Ein 34-jähriger Mann mit kompletter Paraplegie sub Th 6 seit 2001,der die Blase mittels ISK entleerte, berichtete über 10 HWI/Jahr, jeweils mit E. coli, seit 2003. Zudem bestand eine vermehrte Spastik. 04/2011 erhielt er Staphysagria LM3. Lediglich unter Stress und massiver körperlicher Belastung erlitt er 04/2012 ein HWI-Rezidiv, seitdem keine HWI mehr.

Perioperative Komplikationen

Vor operativen Eingriffen bei Patienten mit bekannter Blutungsneigung und Anspannung vor der Intervention haben wir gute Erfahrungen mit Arnika montana C200, direkt prä- und postoperativ gemacht. Bei einem Patienten, der nach einer transurethralen Operation der Prostata trotz aller urologischen Interventionen rezidivierend dunkle, venöse Blutungen ausbildete, konnten diese mit Hamamelis erfolgreich therapiert werden.

(Fall 1:

Bei einem 67-jährigen Patienten mit einer inkompletten Tetraparese bei Multipler Sklerose und Morbus Parkinson seit 1998 erfolgte die Harnableitung über einen suprapubischen Katheter. Wegen rezidivierender Lungenembolien war der Patient dauerhaft mit einem Vitamin K-Antagonisten antikoaguliert. Beim Wechsel des suprapubischen Katheters entstand eine Schleimhautläsion, die zu einer konservativ nicht beherrschbaren Blutung mit Ausbildung einer Blasentamponade führte. Nach medikamentöser Normalisierung der Gerinnungsparameter erfolgte die transurethrale Tamponadenevakuation und Koagulation. Diese gelang nur unvollkommen. Nach Gabe von Arnika C 200 sistierte die Blutung

Fall 2:

Bei einem 40-jähriger Patient mit kompletter Tetraplegie sub C5 seit 11 Jahren erfolgte wegen einer Sphinktersklerose mit Restharnbildung und autonomer Dysregulation eine Sphinkterotomie; wegen einer ausgeprägten Nachblutung am 7. postoperativen Tag musste eine Nachkoagulation durchgeführt werden. Drei Tage später trat erneut eine dunkel-venöse Nachblutung auf. Unter einer Therapie mit Hamamelis C200 sistierte die Blutung, der Patient konnte 2 Tage später entlassen werden; in weiteren Verlauf trat keine Nachblutung mehr auf.)

Bei postoperativ aufgetretenen prolongierten Darmparalysen konnte mit Opium eine schnelle Besserung erreicht werden.

Wichtig bei allen Behandlungen der akuten urologischen Probleme war für uns, nicht nur die lokalen Symptome, sondern auch die Symptome der Gemütsebene mit zu berücksichtigen. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür schildert der folgende Fallbericht:

Ein 37-jähriger Patient mit einer kompletten Paraplegie sub Th 5 seit 2004 entwickelte eine neurogene Blasenfunktionsstörung mit kleinkapazitärer low-compliance Blase und massiver Detrusorüberaktivität. Nachdem weder eine antimuskarinerge Therapie noch die Injektion von Onabotulinumtoxin in den Detrusor ausreichenden Erfolg gezeigt hatten, erfolgte im November 2013 die Ileum-Augmentation der Blase. Aufgrund einer Perforation des Augmentats wegen einer schleimbedingten Okklusion der Katheter erfolgte am 11. postoperativen Tag eine Revision mit Übernähung der Perforation. Nach den 2 operativen Eingriffen bei präexistenter massiver neurogener Darmfunktionsstörung entwickelte sich ein massiver paralytischer Ileus. Da es unter einer intensivmedizinischen Therapie unter intravenöser medikamentöser Therapie mit Neostigmin 2mg/24 h, Dexpanthenol 2000 mg/24 h und Metoclopramid 50 mg/24 h nach 2 Tagen zu keiner Besserung kam, wurde eine begleitende homöopathische Therapie eingeleitet. Aufgrund der klinischen Symptome (Wunde sehr berührungsempfindlich, generell kälteempfindlich, Übelkeit), des Aspekts (blond. schlank, sportlich, warme Augen) der generellen und mentalen Symptome (besorgt; reserviert; unsicher; freundlich, kooperativ, mild, aber manchmal explodierend; sehr ungeduldig; durstlos, kein Schweiss, unruhig, schlaflos) und der lokalen Befunde erhielt der Patient Staphysagria. Bereits am Folgetage kam es zu einer signifikanten Besserung des Allgemeinbefindens, bei ansonsten unveränderter Therapie nahm die Darmperistaltik sukzessiv zu, so dass am folgenden Tag die Magensonde entfernt und ein Kostaufbau begonnen werden konnte. Aktuell ist der Patient seitens des Darms vollständig beschwerdefrei [Pannek2].

Besondere Indikationen

In ausgewählten Fällen kann eine homöopathische Behandlung auch helfen, eine definitive chirurgische Therapie zu vermeiden.

Fallbericht:

Ein 35-jähriger Mann mit einer kompletten Tetraplegie sub C6 seit 2001 stellte sich mit Fieber und einer Schwellung des linken Hodens vor. eine Selbstmedikation mit Norfloxacin hatte keine Besserung erbracht, obwohl die Erreger hierauf sensibel waren.

Die sonographische Untersuchung zeigte einen ausgeprägten Nebenhodenabszess. Der Patietn lehnte die vorgeschlagene operative Entfernung des Hodens und Nebenhodens ab. Da sich nach 3 Tagen antibiotischer und supportiver lokaler Therapie keine Besserung des Befundes und der laborchemischen Entzündungsparameter zeigte, wurde eine homöopathische Behandlung mit Hamamelis virginiana C30, dreimal täglich für 4 Tage eingeleitet, gefolgt von Hamamelis C 200 zweimal täglich für weitere 5 Tage. Hierunter wurde der Abszess sukzessiv kleiner, und die Entzündungsparameter normalisierten sich. Der Abszess entleerte sich nach subkutan und konnte durch eine kleine Hautinzision vollständig abgelassen werden. Somit war eine organerhaltende Therapie bei einem Krankheitsbild möglich, das normalerweise zu einer unmittelbaren operativen Entfernung des Organs führt.

Diskussion

Die Behandlung der neurogenen Blasenfunktionsstörung ist für Patienten mit einer Rückenmarkschädigung extrem wichtig zum Schutz der Nierenfunktion, aber auch zum bestmöglichen Erhalt der Lebensqualität. Untersuchungen haben gezeigt, dass die nBFS und ihre Folgen einen massiven Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben kann [Akkoc]. Besonders Inkontinenz und Harnwegsinfektionen haben stark negative Einflüsse auf das Befinden der Betroffenen. Leider sind die heute bekannten Therapiemassnahmen bei Harnwegsinfekten nur eingeschränkt wirksam. Eine Kooperation zwischen Homöopathen und Urologen kann nach unseren oben geschilderten Erfahrungen bei querschnittgelähmten Patienten mit rezidivierenden HWI einen deutlichen therapeutischen Zugewinn erbringen.

Viele Patienten mit Rückenmarkverletzungen leiden unter komplexen gesundheitlichen Folgen der Querschnittlähmung. Das erhöhte Thromboserisiko macht oft medikamentöse Massnahmen zur Antikoagulation erforderlich, die wiederum das Blutungsrisiko bei operativen Eingriffen erhöhen. Auch andere perioperative Komplikationen sind bei diesen Patienten häufiger (z.B. postoperative Darmparalyse aufgrund neurogener Darmfunktionsstörung). Auch hierbei sind unsere Erfahrungen mit einer homöopathischen Behandlung ermutigend.

Die homöopathische Therapie erfolgt nach den Prinzipien der klassischen Homöopathie [Hahnemann]. Die Mittelfindung auch bei akuten medizinischen Problemen bezieht dabei nicht nur die akuten Lokalsymptome, sondern auch die Gemütssymptome mit ein.

In der homöopathischen Literatur sind Berichte über die Behandlung querschnittgelähmter Patienten rar. Unsere ersten Erfahrungen deuten darauf hin, dass querschnittgelähmte Patienten etwas verhaltener auf homöopathische Mittel reagieren. Durch die tägliche Gabe von LM-Potenzen wurden repetitive Stimuli gesetzt, die zu einer besseren Wirksamkeit und geringerer Erstreaktion zu führen scheinen.

Zusammenfassend können von einer Kooperation zwischen Homöopathie und Neuro-Urologie Patienten nicht nur bei chronischen Störungen, sondern auch bei akuten postoperativen Problemen effektiv und nebenwirkungsarm profitieren. Auch bei komplexen postoperativen Darmfunktionsstörungen, die auf konventionelle Behandlung nicht ausreichend ansprechen, ist die homöopathische Therapie eine erfolgversprechende Therapieoption.

Korrespondenzanschrift:

Professor Jürgen Pannek, Chefarzt Neuro-Urologie
Schweizer Paraplegiker-Zentrum, Guido A. Zäch Strasse 1
CH -6207 Nottwil Schweiz
Phone: + 41-41-939-5924
Fax: + 41-41-939-5923
Email: juergen.pannek@paraplegie.ch

 

Kategorie: Fälle
Schlüsselworte:
Homöopathie – Querschnittlähmung - neurogene Blasenfunktionsstörung - Harnwegsinfekte
Quelle:
Similia Nr.93 - 1/2015
Fotos:  Schweizer Paraplegiker-Stiftung: Prof. Dr. med. Jürgen Pannek; SHI Homöopathie AG, Zug: Dr. Mohinder Singh Jus, Globuli; Shutterstock: Close-up of male hand on wheel of wheelchair during walk in park_155587316 © Pressmaster; System for the collection and counting of urine_114519994 © sfam_photo


Literaturverzeichnis
    Akkoç Y, Ersöz M, Y?ld?z N, Erhan B, Alaca R, Gök H, Zinnuro?lu M, Özçete ZA, Tunç H, Kaya K, Alemdaro?lu E, Sar?gül M, Konukçu S, Gündüz B, Bardak AN, Özcan S, Demir Y, Güne? S, Uygunol K; Neurogenic Bladder Turkish Research Group: Effects of different bladder management methods on the quality of life in patients with traumatic spinal cord injury. Spinal Cord. 2013;51:226-231.

    Gerridzen RG, Thijssen AM, Dehoux E: Risk factors for upper tract deterioration in chronic spinal cord injury patients. J. Urol. 1992;147:416-418

    Hahnemann S: Organon der Heilkunst. 6. Aufl. Heidelberg: Haug; 1996.

    Linde K, Clausius N, Ramirez G, Melchart D, Eitel F, Hedges LV, Jonas WB: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? A meta analysis of placebo controlled trials. Lancet 1997;350:834 843.

    Nosseir M, Hinkel A, Pannek J: Clinical usefulness of urodynamic assessment for maintenance of bladder function in patients with spinal cord injury. Neurourol Urodyn. 2007; 26:228-233.

    Pannek J: Prophylaxe von Harnwegsinfektionen bei querschnittgelähmten Personen mit Blasenfunktionsstörung - aktuelle klinische Praxis. Aktuelle Urol. 2012; 43:55-8.

    Pannek J, Pannek-Rademacher S, Jus MC, Jus MS: Usefulness of classical homoeopathy for the prevention of urinary tract infections in patients with neurogenic bladder dysfunction: A case series. Indian J Res Homoeopathy 2014;8:31-6.

    Pannek J, Pannek-Rademacher S, Cachin-Jus M: Organ-preserving treatment of an epididymal abscess in a patient with spinal cord injury. Spinal Cord. 2014;52 Suppl 1:S7-8.

    Stöhrer M, Blok B, Castro-Diaz D, Chartier-Kastler E, Del Popolo G, Kramer G, Pannek J, Radziszewski P, Wyndaele JJ: EAU guidelines on neurogenic lower urinary tract dysfunction. Eur Urol 2009; 56: 81-88

 

Weitere Informationen

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) wurde 1990 von Dr. med. Guido A. Zäch eröffnet. Das SPZ ist eine private, landesweit anerkannte Spezialklinik für die Erstversorgung, Akutbehandlung, ganzheitliche Rehabilitation und lebenslange Betreuung von Querschnittgelähmten sowie Menschen mit querschnittähnlichen Syndromen. Im SPZ stehen 140 Betten inklusive Intensivpflegestation zur Verfügung. Die jährliche Bettenbelegung beträgt 99%. 2013 wurden im SPZ rund 50‘500 Pflegetage für 933 stationär aufgenommene Patienten geleistet, 191 davon in Erstrehabilitation. Das SPZ beschäftigt rund 1‘100 Mitarbeitende aus 80 Berufen. Die Spezialklinik gehört zur Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG), welche ein integrales Netzwerk zur ganzheitlichen Rehabilitation von Querschnittgelähmten bildet. Trägerschaft des Netzwerks ist die Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS).

Informationen bei:
Anita Steiner, Leiterin Medien, Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil
Telefon 041 939 61 12, anita.steiner@paraplegie.ch, www.paraplegie.ch


Die SHI Homöopathie Schule wurde 1988 gegründet und ist die einzige in der Schweiz staatlich anerkannte Homöopathie-Schule, die das HF-Diplom anbietet. Sie ist eine renommierte Schule, die Homöopathen aus- und weiterbildet: Ausbildungen in Humanhomöopathie, Tierhomöopathie, Weiterbildungen für Homöopathen und öffentliche Vorträge gehören zum Angebot. Die SHI Homöopathische Praxis ist ein nationales und internationales Kompetenzzentrum für klassische Homöopathie. Sie steht unter der Leitung von Dr. Mohinder Singh Jus, einer weltweit anerkannten Kapazität. Er wurde 1947 in New Dehli geboren, studierte am Calcutta Homoeopathic Medical College and Hospital. 1985 kam er in die Schweiz, arbeitete als Therapeut und begann 1988 mit dem Unterricht in Homöopathie nach B. K. Bose.
www.shi.ch



Die Dr. B. K. Bose-Stiftung wurde 1993 von dem international bekannten Homöopathen Mohinder Singh Jus zu Ehren seines Lehrers, des grossen Homöopathen Dr. B. K. Bose gegründet. Die Stiftung setzt die ihr zur Verfügung stehenden Mittel sorgfältig in ausgewählten Projekten ein, die alle der Förderung und Verbreitung der klassischen Homöopathie dienen. Unterstützt werden verschiedene Projekte im Bereich der Forschung, Ausbildungsqualität und Öffentlichkeitsarbeit. Die Dr. B. K. Bose Stiftung initiiert oder unterstützt klinische Studien, welche den Einsatz der klassischen Homöopathie bei chronischen Erkrankungen dokumentieren und wissenschaftlich auswerten. Derartige Forschungsprojekte werden in enger Zusammenarbeit mit dem SHI Haus der Homöopathie und Schweizer Kliniken realisiert.
www.shi.ch/bkbose

 

Homöopathie für Querschnittgelähmte

Eindrücklicher Beitrag von der Arbeit

von Mohinder Singh Jus

Beitrag aus der Zeitschrift Simila Nr.93 - 1/2015.

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) Nottwil erweitert sein Angebot um eine zusätzliche komplementär-medizinische Dienstleistung: Ab dem 15. Januar 2015 wird während einer sechsmonatigen Pilotphase in enger Zusammenarbeit mit der SHI Homöopathischen Praxis Zug ein Konsiliardienst für die homöopathische Behandlung in Nottwil eingerichtet.

Homöopathen der SHI werden während einer Pilotphase zunächst bis Juni 2015 in Nottwil homöopathische Behandlungen für Querschnittgelähmte anbieten. Stösst diese Dienstleistung auf Interesse, wird das Angebot weiter geführt. «Dies stellt eine wichtige Erweiterung unseres umfassenden Behandlungsspektrums dar, vor allem bei chronischen Gesundheitsstörungen; Homöopathie ist somit eine ideale Ergänzung unseres therapeutischen Angebots» erläutert Prof. Dr. med. Jürgen Pannek, Chefarzt Neuro-Urologie im SPZ.

Gute Erfahrungen zeigen Wirkung

In der Neuro-Urologie des SPZ wurden bereits sehr gute Erfahrungen gemacht bei der Behandlung und Vorbeugung von Harnwegsinfekten von querschnittgelähmten Patienten. Zudem berichten Betroffene über verbesserte Darmfunktion und weniger Spastik (Muskelkrämpfe). Prominenter Befürworter dieser Methode ist der verunfallte ehemalige Skirennfahrer Silvano Beltrametti, dessen Harnwegsinfektion sich durch die homöopathische Behandlung durch Dr. Mohinder Singh Jus von der SHI Homöopathie Schule in Zug laufend verbessert hat. «Ich glaube an die Wirkung der Homöopathie, sie hat mir die Lebensqualität zurück gebracht.» Ausserdem kann die homöopathische Behandlung z.B. bei urologischen Erkrankungen, bei Dekubitus (Wundliegen), bei Sexualstörungen, Infektneigung oder bei psychischen Verstimmungen eingesetzt werden. Oftmals sind es genau diese Probleme, die für die Querschnittgelähmten schwerer zu ertragen sind als die Tatsache, nicht mehr laufen zu können.

Ein zusätzliches Plus in der Rehabilitation

Das Angebot wird ab Januar 2015 zunächst für alle stationären Patienten eingerichtet, die eine homöopathische Behandlung wünschen. Sind kurzfristig an den Konsiltagen noch Termine frei, können auch ambulante Patienten vom neuen Angebot profitieren. Die Kosten während der Pilotphase werden von der Dr. B. K. Bose-Stiftung übernommen.
Die Homöopathie-Sprechstunde findet jeweils donnerstags von 13.30 bis 17.30 Uhr im Zentrum für Schmerzmedizin statt: 15. Januar, 26. Februar, 12. März, 26. März, 16. April, 30. April, 7. Mai, 28. Mai und 18. Juni 2015.

Ganzheitlich und interdisziplinär
Ein ganzheitlicher Therapieansatz ist für eine optimale Akutbehandlung, Rehabilitation und lebenslange medizinische Betreuung unumgänglich. Patienten im SPZ steht eine breite Palette klassisch-medizinischer sowie komplementär-medizinischer Angebote zur Auswahl. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen Fachgebiete ist während der Rehabilitation der Querschnittgelähmten massgeblich, damit die Betroffenen rasch wieder selbständig und selbstbestimmt zurück in ihr eigenes Leben können. Homöopathie wird im SPZ nebst dem klassischen medizinischen Angebot unterstützend eingesetzt.




Prof. Dr. med. Jürgen Pannek, Chefarzt Neuro-Urologie, setzt sich für die ganzheitliche Therapie im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil ein.


 

Dr. Mohinder Singh Jus von der SHI Homöopathie Schule in Zug wird einer der Konsil-Ärzte im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil.

 

 

 

 

Anwendungsmöglichkeiten der Homöopathie in der Neuro-Urologie

Jürgen Pannek, Susanne Pannek-Rademacher*, Martine Cachin Jus*, Mohinder Singh Jus*

Neuro-Urologie, Schweizer Paraplegiker-Zentrum, Nottwil, Schweiz, und SHI Homöopathie Praxis*, Zug, Schweiz

Einleitung

Der untere Harntrakt unterliegt einer komplexen nervalen Steuerung. Voraussetzung für eine Kontrolle der Speicher- und Entleerungsfunktion ist eine intakte Innervation. Eine Rückenmarkverletzung bewirkt einen partiellen oder vollständigen Verlust der zentralen Steuerung des Harntrakts [Stöhrer]. Daher entwickeln nahezu alle Personen mit einer Rückenmarkverletzung (spinal cord injury: SCI) eine neurogene Blasenfunktionsstörung (nBFS). Ja nach Ausprägung der Funktionsstörung sind nBFS langfristig mit objektiven (z.B. Nierenschädigung durch Harnabflussbehinderung oder Reflux) und/oder subjektiven (z.B. eingeschränkte Lebensqualität durch Inkontinenz oder symptomatische Harnwegsinfekte) Risiken verbunden. Bei Patienten mit suprasakraler Querschnittlähmung stellten Komplikationen auf urologischem Gebiet lange Zeit die häufigste Todesursache dar. Erst durch Verständnis der Pathophysiologie und der Etablierung einer geeigneten Diagnostik konnte eine effiziente Therapie eingeleitet und somit die Mortalität substantiell reduziert werden [Stöhrer].

Die wichtigsten Risikofaktoren für eine Schädigung des oberen Harntrakts sind ein erhöhter Detrusordruck in der Speicherphase (>40 cm H2O), eine eingeschränkte Elastizität (Detrusorcompliance < 20 ml/cm H2O), ein vesiko-renaler Reflux und das Vorliegen einer Detrusorüberaktivität in Kombination mit einer Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie (DSD) [Gerridsen].

Durch eine Blasendruckmessung (Urodynamik) können die funktionellen Risikofaktoren für den oberen Harntrakt quantifiziert und die Form der Blasenfunktionsstörung bestimmt werden [Nosseir].

Wichtigstes Therapieziel ist die Protektion des oberen Harntrakts. Die größte Gefahr einer Nierenfunktionsschädigung besteht in einem permanent erhöhten intravesikalen Druck. Da eine Wiederherstellung der geschädigten Nerven im Rückenmark bis heute nicht möglich ist, erfolgt die Behandlung der nBFS durch eine maximale Senkung des Drucks in der Blase. Hierzu stehen medikamentöse (Antimuskarinika) minimal invasive (Botox®) oder operative (z.B. Blasenaugmentation mit Darmanteilen, Implantation eines Blasenstimulators) Behandlungsverfahren zur Verfügung. Durch eine vollständige Ruhigstellung der Blase sind die intravesikalen Drucke ausreichend niedrig, um einen Schutz der Nierenfunktion zu gewährleisten, jedoch ist meist keine willkürliche Entleerung mehr möglich; die Patienten müssen lernen, sich selber zu katheterisieren (intermittierender Selbstkatheterismus; ISK) [Stöhrer].
Einsatzmöglichkeiten der Homöopathie

Harnwegsinfektionen

Harnwegsinfekte (HWI) treten bei Personen mit nBFS gehäuft auf. Mögliche Ursachen hierfür sind eine nicht ausgeglichene Speicherung und Entleerung von Urin. Auch durch den intermittierenden Katheterismus zur Blasenentleerung ist das Risiko für Infekte erhöht. Wenn morphologische Ursachen ausgeschlossen wurden, kommen medikamentöse Prophylaxemassnahmen zum Einsatz. Leider existiert weder für eine Langzeit-Antibiotikagabe noch für eine Harnansäuerung oder eine Phytotherapie (z.B. mit Kapuzinerkresse und Meerrettich, Preiselbeerextrakte) ein evidenzbasierter Wirkungsnachweis; einige Therapien haben jedoch signifikante Nebenwirkungen [Pannek].

In einer retrospektiven Fallserie konnte durch eine additive konstitutionelle homöopathische Therapie mit Einzelmitteln bei 8 Patienten mit mehr als 3 symptomatischen HWI pro Jahr die Infektrate drastisch reduziert werden. Alle Patienten litten unter einer neurogenen Blasenfunktionsstörung mit mindestens 3 HWI/Jahr trotz urologischer Standard-Prophylaxe. Die homöopathischen Mittel wurde nach den Prinzipien der klassischen Homöopathie ausgewählt, d.h. basierend auf der Totalität der Symptome des individuellen Patienten wurde ein Einzelmittel in hoher Potenz (meist LM1) ausgewählt [Linde]. Obwohl die Behandlung konstitutionell war, wurden Mittel mit einem Tropismus zum unteren Harntrakt und Katheterisierung, wie Staphysagria und Lycopodium, am häufigsten verwendet. Bei HWI unter Therapie konnte durch eine Intervention mit z.B. Berberis, Benzoicum acidum bzw. Oleum Terebinthinae Tropfen eine antibiotische Behandlung häufig vermieden werden, bei Patienten mit langjähriger Antibiotika-Therapie in der Anamnese wurde oft Nux vomica erfolgreich eingesetzt [Pannek Jus].

Bei einem Follow-up von 15 Monaten sank die HWI-Rate von im Mittel 7,2 HWI/Jahr auf 1,3 HWI/Jahr. Fünf Patienten waren infektfrei, bei 3 Patienten war die HWI-Frequenz rückläufig.

Basierend auf diesen positiven Erfahrungen haben wir eine prospektive, randomisierte, kontrollierte Studie initiiert, deren endgültige Ergebnisse noch ausstehen.

Fallbeispiel

Die Blasenentleerung bei dem 24-jährigen Mann mit inkompletter Paraplegie sub Th4 seit 2008 erfolgte mittels ISK. Seit 2 Jahre litt er unter rezidivierenden HWI (11/Jahr) mit E. coli und Klebsiellen. Er berichtete über brennende Schmerzen und zunehmende Spastik in den unteren Extremitäten, war erschöpft trotz gutem Schlaf, hatte Angst vor Hunden und Operationen. 03/2011 erhielt er Staphysagria LM3. 06/2011 erlitt er ein HWI-Rezidiv, berichtete aber über mehr Energie, alte Symptome kamen wieder; daher wurde das Mittel nicht geändert. 10/2011 trat erneut ein HWI auf, zudem klagte er über Nasenbluten, war erschöpft, zog sich zurück, und war auffallend ungeduldig. Nach Phosphorus LM1 bis heute kein HWI mehr.

ODER
Ein 45-jähriger Mann mit inkompletter Tetraplegie sub C7 seit 1999 litt seit 9 Jahren unter 12 HWI/Jahr, teils fieberhaft, mit wechselnden Erregern. Die Blasenentleerung erfolgte mittels ISK. Er litt unter Höhenangst konnte nicht weinen, und erhielt somit primär 04/2011: Lycopodium clavatum LM1. Hierunter weniger HWI-Rezidive, die jeweils mit Benzoicum acidum Tropfen bzw. Oleum Terebinthinae Tropfen therapiert wurden. 03/2012 entwickelte er eine Prostatitis, die mit Lycopodium clavatum LM 4 therapiert wurde, sonst keine HWI mehr. 01/2013 traten nach psychischer Belastung wieder mehr HWI auf; nach Staphysagria LM1 bis heute nur noch1 HWI.

ODER

Ein 34-jähriger Mann mit kompletter Paraplegie sub Th 6 seit 2001,der die Blase mittels ISK entleerte, berichtete über 10 HWI/Jahr, jeweils mit E. coli, seit 2003. Zudem bestand eine vermehrte Spastik. 04/2011 erhielt er Staphysagria LM3. Lediglich unter Stress und massiver körperlicher Belastung erlitt er 04/2012 ein HWI-Rezidiv, seitdem keine HWI mehr.

Perioperative Komplikationen

Vor operativen Eingriffen bei Patienten mit bekannter Blutungsneigung und Anspannung vor der Intervention haben wir gute Erfahrungen mit Arnika montana C200, direkt prä- und postoperativ gemacht. Bei einem Patienten, der nach einer transurethralen Operation der Prostata trotz aller urologischen Interventionen rezidivierend dunkle, venöse Blutungen ausbildete, konnten diese mit Hamamelis erfolgreich therapiert werden.

(Fall 1:

Bei einem 67-jährigen Patienten mit einer inkompletten Tetraparese bei Multipler Sklerose und Morbus Parkinson seit 1998 erfolgte die Harnableitung über einen suprapubischen Katheter. Wegen rezidivierender Lungenembolien war der Patient dauerhaft mit einem Vitamin K-Antagonisten antikoaguliert. Beim Wechsel des suprapubischen Katheters entstand eine Schleimhautläsion, die zu einer konservativ nicht beherrschbaren Blutung mit Ausbildung einer Blasentamponade führte. Nach medikamentöser Normalisierung der Gerinnungsparameter erfolgte die transurethrale Tamponadenevakuation und Koagulation. Diese gelang nur unvollkommen. Nach Gabe von Arnika C 200 sistierte die Blutung

Fall 2:

Bei einem 40-jähriger Patient mit kompletter Tetraplegie sub C5 seit 11 Jahren erfolgte wegen einer Sphinktersklerose mit Restharnbildung und autonomer Dysregulation eine Sphinkterotomie; wegen einer ausgeprägten Nachblutung am 7. postoperativen Tag musste eine Nachkoagulation durchgeführt werden. Drei Tage später trat erneut eine dunkel-venöse Nachblutung auf. Unter einer Therapie mit Hamamelis C200 sistierte die Blutung, der Patient konnte 2 Tage später entlassen werden; in weiteren Verlauf trat keine Nachblutung mehr auf.)

Bei postoperativ aufgetretenen prolongierten Darmparalysen konnte mit Opium eine schnelle Besserung erreicht werden.

Wichtig bei allen Behandlungen der akuten urologischen Probleme war für uns, nicht nur die lokalen Symptome, sondern auch die Symptome der Gemütsebene mit zu berücksichtigen. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür schildert der folgende Fallbericht:

Ein 37-jähriger Patient mit einer kompletten Paraplegie sub Th 5 seit 2004 entwickelte eine neurogene Blasenfunktionsstörung mit kleinkapazitärer low-compliance Blase und massiver Detrusorüberaktivität. Nachdem weder eine antimuskarinerge Therapie noch die Injektion von Onabotulinumtoxin in den Detrusor ausreichenden Erfolg gezeigt hatten, erfolgte im November 2013 die Ileum-Augmentation der Blase. Aufgrund einer Perforation des Augmentats wegen einer schleimbedingten Okklusion der Katheter erfolgte am 11. postoperativen Tag eine Revision mit Übernähung der Perforation. Nach den 2 operativen Eingriffen bei präexistenter massiver neurogener Darmfunktionsstörung entwickelte sich ein massiver paralytischer Ileus. Da es unter einer intensivmedizinischen Therapie unter intravenöser medikamentöser Therapie mit Neostigmin 2mg/24 h, Dexpanthenol 2000 mg/24 h und Metoclopramid 50 mg/24 h nach 2 Tagen zu keiner Besserung kam, wurde eine begleitende homöopathische Therapie eingeleitet. Aufgrund der klinischen Symptome (Wunde sehr berührungsempfindlich, generell kälteempfindlich, Übelkeit), des Aspekts (blond. schlank, sportlich, warme Augen) der generellen und mentalen Symptome (besorgt; reserviert; unsicher; freundlich, kooperativ, mild, aber manchmal explodierend; sehr ungeduldig; durstlos, kein Schweiss, unruhig, schlaflos) und der lokalen Befunde erhielt der Patient Staphysagria. Bereits am Folgetage kam es zu einer signifikanten Besserung des Allgemeinbefindens, bei ansonsten unveränderter Therapie nahm die Darmperistaltik sukzessiv zu, so dass am folgenden Tag die Magensonde entfernt und ein Kostaufbau begonnen werden konnte. Aktuell ist der Patient seitens des Darms vollständig beschwerdefrei [Pannek2].

Besondere Indikationen

In ausgewählten Fällen kann eine homöopathische Behandlung auch helfen, eine definitive chirurgische Therapie zu vermeiden.

Fallbericht:

Ein 35-jähriger Mann mit einer kompletten Tetraplegie sub C6 seit 2001 stellte sich mit Fieber und einer Schwellung des linken Hodens vor. eine Selbstmedikation mit Norfloxacin hatte keine Besserung erbracht, obwohl die Erreger hierauf sensibel waren.

Die sonographische Untersuchung zeigte einen ausgeprägten Nebenhodenabszess. Der Patietn lehnte die vorgeschlagene operative Entfernung des Hodens und Nebenhodens ab. Da sich nach 3 Tagen antibiotischer und supportiver lokaler Therapie keine Besserung des Befundes und der laborchemischen Entzündungsparameter zeigte, wurde eine homöopathische Behandlung mit Hamamelis virginiana C30, dreimal täglich für 4 Tage eingeleitet, gefolgt von Hamamelis C 200 zweimal täglich für weitere 5 Tage. Hierunter wurde der Abszess sukzessiv kleiner, und die Entzündungsparameter normalisierten sich. Der Abszess entleerte sich nach subkutan und konnte durch eine kleine Hautinzision vollständig abgelassen werden. Somit war eine organerhaltende Therapie bei einem Krankheitsbild möglich, das normalerweise zu einer unmittelbaren operativen Entfernung des Organs führt.

Diskussion

Die Behandlung der neurogenen Blasenfunktionsstörung ist für Patienten mit einer Rückenmarkschädigung extrem wichtig zum Schutz der Nierenfunktion, aber auch zum bestmöglichen Erhalt der Lebensqualität. Untersuchungen haben gezeigt, dass die nBFS und ihre Folgen einen massiven Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben kann [Akkoc]. Besonders Inkontinenz und Harnwegsinfektionen haben stark negative Einflüsse auf das Befinden der Betroffenen. Leider sind die heute bekannten Therapiemassnahmen bei Harnwegsinfekten nur eingeschränkt wirksam. Eine Kooperation zwischen Homöopathen und Urologen kann nach unseren oben geschilderten Erfahrungen bei querschnittgelähmten Patienten mit rezidivierenden HWI einen deutlichen therapeutischen Zugewinn erbringen.

Viele Patienten mit Rückenmarkverletzungen leiden unter komplexen gesundheitlichen Folgen der Querschnittlähmung. Das erhöhte Thromboserisiko macht oft medikamentöse Massnahmen zur Antikoagulation erforderlich, die wiederum das Blutungsrisiko bei operativen Eingriffen erhöhen. Auch andere perioperative Komplikationen sind bei diesen Patienten häufiger (z.B. postoperative Darmparalyse aufgrund neurogener Darmfunktionsstörung). Auch hierbei sind unsere Erfahrungen mit einer homöopathischen Behandlung ermutigend.

Die homöopathische Therapie erfolgt nach den Prinzipien der klassischen Homöopathie [Hahnemann]. Die Mittelfindung auch bei akuten medizinischen Problemen bezieht dabei nicht nur die akuten Lokalsymptome, sondern auch die Gemütssymptome mit ein.

In der homöopathischen Literatur sind Berichte über die Behandlung querschnittgelähmter Patienten rar. Unsere ersten Erfahrungen deuten darauf hin, dass querschnittgelähmte Patienten etwas verhaltener auf homöopathische Mittel reagieren. Durch die tägliche Gabe von LM-Potenzen wurden repetitive Stimuli gesetzt, die zu einer besseren Wirksamkeit und geringerer Erstreaktion zu führen scheinen.

Zusammenfassend können von einer Kooperation zwischen Homöopathie und Neuro-Urologie Patienten nicht nur bei chronischen Störungen, sondern auch bei akuten postoperativen Problemen effektiv und nebenwirkungsarm profitieren. Auch bei komplexen postoperativen Darmfunktionsstörungen, die auf konventionelle Behandlung nicht ausreichend ansprechen, ist die homöopathische Therapie eine erfolgversprechende Therapieoption.

Korrespondenzanschrift:

Professor Jürgen Pannek, Chefarzt Neuro-Urologie
Schweizer Paraplegiker-Zentrum, Guido A. Zäch Strasse 1
CH -6207 Nottwil Schweiz
Phone: + 41-41-939-5924
Fax: + 41-41-939-5923
Email: juergen.pannek@paraplegie.ch

 

Kategorie: Fälle
Schlüsselworte:
Homöopathie – Querschnittlähmung - neurogene Blasenfunktionsstörung - Harnwegsinfekte
Quelle:
Similia Nr.93 - 1/2015
Fotos:  Schweizer Paraplegiker-Stiftung: Prof. Dr. med. Jürgen Pannek; SHI Homöopathie AG, Zug: Dr. Mohinder Singh Jus, Globuli; Shutterstock: Close-up of male hand on wheel of wheelchair during walk in park_155587316 © Pressmaster; System for the collection and counting of urine_114519994 © sfam_photo


Literaturverzeichnis
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    Hahnemann S: Organon der Heilkunst. 6. Aufl. Heidelberg: Haug; 1996.

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Weitere Informationen

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) wurde 1990 von Dr. med. Guido A. Zäch eröffnet. Das SPZ ist eine private, landesweit anerkannte Spezialklinik für die Erstversorgung, Akutbehandlung, ganzheitliche Rehabilitation und lebenslange Betreuung von Querschnittgelähmten sowie Menschen mit querschnittähnlichen Syndromen. Im SPZ stehen 140 Betten inklusive Intensivpflegestation zur Verfügung. Die jährliche Bettenbelegung beträgt 99%. 2013 wurden im SPZ rund 50‘500 Pflegetage für 933 stationär aufgenommene Patienten geleistet, 191 davon in Erstrehabilitation. Das SPZ beschäftigt rund 1‘100 Mitarbeitende aus 80 Berufen. Die Spezialklinik gehört zur Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG), welche ein integrales Netzwerk zur ganzheitlichen Rehabilitation von Querschnittgelähmten bildet. Trägerschaft des Netzwerks ist die Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS).

Informationen bei:
Anita Steiner, Leiterin Medien, Schweizer Paraplegiker-Stiftung, Nottwil
Telefon 041 939 61 12, anita.steiner@paraplegie.ch, www.paraplegie.ch


Die SHI Homöopathie Schule wurde 1988 gegründet und ist die einzige in der Schweiz staatlich anerkannte Homöopathie-Schule, die das HF-Diplom anbietet. Sie ist eine renommierte Schule, die Homöopathen aus- und weiterbildet: Ausbildungen in Humanhomöopathie, Tierhomöopathie, Weiterbildungen für Homöopathen und öffentliche Vorträge gehören zum Angebot. Die SHI Homöopathische Praxis ist ein nationales und internationales Kompetenzzentrum für klassische Homöopathie. Sie steht unter der Leitung von Dr. Mohinder Singh Jus, einer weltweit anerkannten Kapazität. Er wurde 1947 in New Dehli geboren, studierte am Calcutta Homoeopathic Medical College and Hospital. 1985 kam er in die Schweiz, arbeitete als Therapeut und begann 1988 mit dem Unterricht in Homöopathie nach B. K. Bose.
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Die Dr. B. K. Bose-Stiftung wurde 1993 von dem international bekannten Homöopathen Mohinder Singh Jus zu Ehren seines Lehrers, des grossen Homöopathen Dr. B. K. Bose gegründet. Die Stiftung setzt die ihr zur Verfügung stehenden Mittel sorgfältig in ausgewählten Projekten ein, die alle der Förderung und Verbreitung der klassischen Homöopathie dienen. Unterstützt werden verschiedene Projekte im Bereich der Forschung, Ausbildungsqualität und Öffentlichkeitsarbeit. Die Dr. B. K. Bose Stiftung initiiert oder unterstützt klinische Studien, welche den Einsatz der klassischen Homöopathie bei chronischen Erkrankungen dokumentieren und wissenschaftlich auswerten. Derartige Forschungsprojekte werden in enger Zusammenarbeit mit dem SHI Haus der Homöopathie und Schweizer Kliniken realisiert.
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