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EDITORIAL

Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel

Chefredaktion

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MOOSE & FARNE

EDITORIAL

SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

Liebe Leserinnen und Leser,

es gibt sie noch, die Urpflanzen, seit über 400 Millionen Jahren

begrünen sie die Erde. Allerdings sind sie mittlerweile so klein und

unauffällig, dass sie kaum noch wahrgenommen werden. Das gilt

gleichermaßen für die Patienten, denen potenzierte Moose und

Farne guttun. Diese Ausgabe von SPEKTRUM soll dazu beitragen,

dass diese Arzneien mit so seltsamen Namen wie Sparriger Runzel-

bruder, lat. Rhytidiadelphus squarrosus, in der homöopathischen

Praxis nicht mehr übersehen werden. In unser Blickfeld gebracht

wurden sie von acht „Moospionieren“ um Britta Dähnrich und

Jan Scholten, die im Frühjahr 2017 mithilfe des Bryologen Michael

Sauer etwa 30 verschiedene Moose prüften. Bis dahin waren die

uralten Pflanzen mit ihren geschätzt 15.000 Arten in der Homöo-

pathie noch völlig unbekannt. Nun können die Pioniere bereits

von ersten Praxiserfolgen berichten mit diesen unscheinbaren und

schwer zu unterscheidenden blütenlosen Pflanzen, die doch überall

wachsen, in weiten Waldflächen, auf Holz, Felsen, Mauern und

Dächern.

Bei Eingang der Beiträge teilte das Redaktionsteam von „SPEKT-

RUM“ voll und ganz die Emotionen der Teilnehmer an den ersten

Sinnesprüfungen, nachzulesen im Artikel „Moosgefühle“. Zu-

nächst: „Verwirrung!“ Dann aber auch so etwas wie den „Ur-

schrei!“ Komplette Hilflosigkeit angesichts der Komplexität des

Unübersichtlichen. Erst nach und nach wurde das zentrale Motiv

der Moose deutlich: übersehen und nicht wahrgenommen werden

wegen maximaler Anpassung und Bedürfnislosigkeit, die doch Aus-

druck eines unbedingten Lebenswillens sind.

In den Fallgeschichten lernen wir die uralten Pflanzen, auf de-

nen wir so achtlos herumtrampeln, als homöopathisch wirksame

Wegbegleiter für PatientInnen kennen mit Leistungsschwäche, De-

pressionen und anderen psychischen Störungen, meist nach trau-

matischen Erlebnissen in der Kindheit. Die Erfahrung von früher

Ablehnung, Isolation, Missbrauch, Verletzung und Lebensgefahr

zieht sich wie ein roter Faden durch die Kasuistiken von Ina ter Beek,

Elisabeth Sehlinger, Britta Dähnrich, Christina Ari, Martin Jakob und

Franz Swoboda zu jeweils unterschiedlichen Moosen. Während sich

die Arzneigruppe anhand solch typischer gemeinsamer Themen gut

erkennen lässt, bleibt die Differenzierung einzelner Moosarzneien

vorerst schwierig. Helfen können dabei Jan Scholtens Hypothesen

zum Pflanzencode, die in der Praxis allerdings noch zuverlässig

bestätigt werden müssen.

Eine ganz eigene Systematik für die Urpflanzen hat Michal Yakir

entwickelt. Während ihre bekannte Einteilung der Blühpflanzen

den Stadien der menschlichen Evolution und Individuation folgt,

ordnet sie nun die blütenlosen alten Pflanzen von den Moosen bis

zu den Koniferen den Stufen der Entwicklung von Gaia, der Erde,

zu. Die Moose stehen dabei ganz am Anfang der Evolution in der

ersten Spalte von Yakirs praxisbewährter Pflanzentabelle. In den

Spalten 2 und 3 folgen mit den Bärlapppflanzen und Farnen die

Pteridophyta, zu denen unser geschätzter und leider viel zu früh

verstorbener Autor und Freund Jörg Wichmann einen Übersichts-

beitrag hinterlassen hat. Auch bei diesen Pflanzen fällt vor allem

ihre Unauffälligkeit auf. So wie Farnsamen in Mythen und Sagen

Menschen unsichtbar machen können, so verstehen es Menschen,

die Farnarzneien benötigen, sich unter einer Tarnkappe des Alltägli-

chen zu verbergen. Franz Swoboda und Doris Drach entlarven diese

Strategie mit der Prüfung und einem Fallbeispiel zum Adlerfarn.

Zwischen Moosen und Farnen gibt es offensichtlich eine Reihe von

Parallelen, die für die Homöopathie relevant sind. So klingt das

Thema von Trauma und sexuellem Missbrauch in Juliane Hesses

Übersicht zu den Schachtelhalmen und in Sigrid Lindemanns Fallbei-

spiel zu Equisetum hiemale ebenso an wie in der Erreibungsprüfung

des Hirschzungenfarns von Susanne Diez. Eine Brücke zwischen den

beiden Pflanzengruppen dieser Ausgabe schlägt die Gattung der

Moosfarne. Wie ein Moos überleben diese Bärlapppflanzen Jahre

der Trockenheit und wie die unechte Rose von Jericho nach dem

Regen ergrünt die Patientin in der Kasuistik von Anne Schadde nach

der Gabe von Selaginella lepidophylla als Similearznei.

Ähnlich wie in diesem Fall begegnen wir in vielen anderen Beiträgen

PatientInnen und HomöopathInnen, die über viele Jahre nach dem

Schlüssel zur Heilung gesucht und ihn schließlich in einer Arznei

aus der Gruppe der Urpflanzen gefunden haben. Diese Beispiele

zeigen, wie wichtig und segensreich es auch nach über 200 Jahren

Homöopathie ist, unsere Materia medica durch neue Arzneimittel-

prüfungen und klinische Erfahrungen zu erweitern. Vielleicht gibt es

auch unter Ihren PatienInnen solche, an denen Sie sich schon lange

die Zähne ausbeißen und die auf Heilung durch Lunularia cruciata,

Aulacomnium palustre oder Asplenium scolopendrium warten.