SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Britta Dähnrich und Martin Jakob
¦ Anomodon viticulosus
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MOOSE UND FARNE
Der Wolfsfuß im trockenen Zustand erinnert an eine Pfote. Als
wir ihn das erste Mal im Botanischen Garten in Tübingen sahen,
waren wir von seinem kräftig grünen Aussehen beeindruckt. Das
Ansprühen mit Wasser ließ das zu dem Zeitpunkt trockene Moos
sofort „aufblühen“. Im folgenden Fallbeispiel stelle ich meine
ersten Erfahrungen mit Anomodon viticulosus vor
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FALLBEISPIEL 1 (Britta Dähnrich): Anomodon viticulosus,
Frau, 65 Jahre, Depression
Fallaufnahme:
Die Patientin hat jeden Morgen Depressionen,
es kostet sie viel Kraft, durch den Tag zu gehen; sie fühlt keine
Lebensenergie, keine Kraft.
Sie hat Krämpfe am ganzen Körper, die anfallsweise erschei-
nen, vor allem an Händen, Füßen, Brust und am Sternocleido-
mastoideus. Diese Krämpfe treten unvermittelt ohne direkten
Auslöser auf.
Ihr grundsätzliches Problem ist, dass sie nicht in Gruppen sein
mag, sie fühlt sich dort nicht wohl, sie fühlt sich nicht gesehen
und auch nicht anerkannt. Sie hat oft das Gefühl, dass die
Gruppenmitglieder sie angreifen könnten, und ihre Wahrneh-
mung ist, dass sie tatsächlich oft angegriffen wird. Sie sagt,
jeder könne auf ihr herumtrampeln, sie gehöre nicht zur Gruppe
dazu, und sie müsse eine Menge tun, um gesehen zu werden.
Sie ist sehr empfindlich gegen Kritik.
Als Kind fühlte sie sich auch schon als Außenseiter in der Familie
und auch in der Schule. Es war für sie schwierig, Freunde zu
finden, in der Schule war sie langsam im Lernen, sie hat das
Abitur als Erwachsene nachgeholt.
Ihre Eltern hatten ein Haus mit mehreren Mietparteien gebaut. In
der eigenen Wohnung war kein Zimmer für sie und ihre Schwes-
ter vorgesehen worden. Sie bekam dann mit etwa acht Jahren
ein Zimmer unter dem Dach, drei Stockwerke entfernt von der
elterlichen Wohnung. In ihrem Zimmer fühlte sie sich isoliert.
Das Verhältnis zu ihrer Mutter beschreibt sie als distanziert und
ohne Emotion. Zu ihrem Vater hatte sie ein herzlicheres Verhält-
nis, sie half ihm oft in seiner Hosenfabrik, um ihm nahe zu sein.
Die Patientin fühlte sich damals von ihm geliebt, auch wenn er
kaum Zeit für sie hatte. Sie sagt heute: „Ich habe meinen Vater
zwar sehr geliebt, aber ich habe lange Zeit gebraucht, um zu
verstehen, dass er nicht wirklich für mich da war.“ Sie berichtet,
dass ihr Vater im Ersten Weltkrieg in Verdun gekämpft und
viele schreckliche Dinge erlebt hatte, über die er aber kaum
gesprochen habe. Als der Vater starb, hatte sie das Gefühl,
keine Familie mehr zu haben.
Zwischen dem 12. und 17. Lebensjahr wurde sie mehrfach se-
xuell missbraucht, erzählte es damals aber niemandem, da ihr
Vater immer der Meinung war: „Wenn das einer Frau passiert,
ist sie selber daran schuld.“
Als Baby wäre sie beinahe an einer schweren Bronchitis ge-
storben.
Nach ihrer Vorliebe für Pflanzen befragt, erwähnt sie, dass sie
Moose liebe, ganz besonders den Wolfsfuß (Anomodon viti-
culosus).
ANALYSE
Für ein Moos sprechen folgende Symptome:
•
lebt in ihrer eigenen Welt, kindlich
•
Jeder kann auf ihr herumtrampeln.
•
langsam in der Schule
•
fühlt sich nicht gesehen
•
fühlt sich als Außenseiter
•
starke Überlebenskraft (überlebt eine schwere Bronchitis als
Baby)
•
Traumata in der Vorgeschichte (Vater in Verdun, Kriegsgräuel)
Pflanzencode für Anomodon viticulosus:
•
Sie fühlt sich als Außenseiterin, fühlt sich nicht wohl in
Gruppen: Phase 6
•
sexueller Missbrauch: Phase 6
•
Wenn das einer Frau passiert, ist sie selber schuld: Phase 6
•
Fühlt sich nicht gesehen und auch nicht anerkannt: Phase 2
•
Mittelcode nach Jan Scholten: 3-333.62.6
Die Hauptthemen von Anomodon viticulosus:
•
Schwanken zwischen Distanz und Verbundenheit
•
Eine Verbundenheit ist zwar gewünscht, ist aber zu verletz-
lich, um sie einzugehen.
•
sehr empfindlich in Beziehungen
•
zieht sich wegen Kleinigkeiten zurück
•
bleibt auf Distanz; Aggression, Verstecken, Flucht
•
starke Willenskraft
•
Will allein sein, sonst wird er/sie aggressiv.
•
Gefühl von Sehnenverkürzungen an Händen und Füßen, so
als wollten sie sich zu Krallen zusammenziehen
•
Muskelschmerzen
Verschreibung:
Anomodon viticulosus C200
VERLAUF
(etwa ein Jahr nach der ersten Gabe im August 2016)
Die Patientin fühlt mehr Lebensfreude, sie kann morgens gut
aufstehen und sieht mehr Perspektiven in ihrem Leben. Sie hat
das Gefühl, dass ihr Herz offener ist und mehr Kontakt mit
Leuten zulässt. Sie fühlt sich nicht mehr so schnell „genervt“
von anderen, „verwickelt“ sich nicht mehr so sehr mit anderen
Menschen, kann mehr „bei sich“ sein und eine Beobachterpo-
sition einnehmen.
Ihr Schlaf ist ruhiger und entspannter. Sie fühlt sich nicht mehr
so schnell von Gruppenmitgliedern angegriffen, wobei dies auch
faktisch weniger vorzukommen scheint. Sie lässt sich weniger
in Konflikte hineinziehen und kann mit Kritik besser umgehen.
Ihre Krämpfe sind deutlich besser geworden.
Diese Verbesserungen haben bis heute angehalten. Sie sagt,
dass ihr das Moos vor allem in ihrer Beziehung zu anderen
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Ein weiterer Fall von Anomodon viticulosus von Martin Jakob wird hier mit Britta
Dähnrichs Anomodon-Fall kombiniert und in einem Artikel zusammengefasst.