EDITORIAL
Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel
Chefredaktion
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INFEKTIONEN
EDITORIAL
SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Liebe Leserinnen und Leser,
die Entwicklung von Impfstoffen und Antibiotika zählt zu den
wichtigsten Meilensteinen in der Geschichte der Medizin. Viele
lebensbedrohliche Seuchen haben ihre Schrecken verloren und
die Lebenserwartung ist in der Folge erheblich gestiegen. Hat
die Homöopathie überhaupt einen Platz in der Behandlung von
Infektionskrankheiten angesichts dieser unstrittigen Erfolge der
naturwissenschaftlichen Medizin?
Die Fallbeispiele in dieser Ausgabe von SPEKTRUM geben eine
klare Antwort auf diese provokative Frage. Sie stehen für viele
PatientInnen, denen mit Antibiotika alleine nicht geholfen ist.
Wenn Entzündungen der Nebenhöhlen, der Bronchien oder
der Blase trotz zahlreicher antibiotischer Behandlungen immer
wiederkehren, ist eine andere therapeutische Strategie gefragt.
Die Homöopathie richtet sich nicht direkt gegen den Erreger,
sie stärkt vielmehr das Terrain, das Immunsystem, die Abwehr-
und Lebenskraft. Damit hat sie eine besondere Funktion in der
Behandlung chronisch-rezidivierender Infektionen, speziell dann,
wenn Antibiotika versagen.
Eine typische Indikation ist die chronische Sinusitis. Karim Adal
und Heiner Frei schildern zwei ganz ähnliche Fälle mit einer viele
Jahre langen Leidensgeschichte frustraner Behandlungen mit An-
tibiotika, Kortikoiden, Antihistaminika und sogar Operationen.
Auf so unterschiedlichen Wegen wie der Polaritätsanalyse und
der Empfindungsmethode gelangen die beiden Schweizer Ho-
möopathen zu Konstitutionsmitteln, die prompte Erleichterung
verschaffen und zu vollständiger Heilung führen. In Freis Beitrag
ist der Behandlungserfolg computertomographisch dokumentiert.
Wie die chronische Sinusitis sind auch rezidivierende Harn-
wegsinfekte eine Crux für die konventionelle Medizin. Dietmar
Payrhuber und Trisha Curtis berichten über den besonderen
Wert von Sarsaparilla und Populus temuloides bei diesem
Krankheitsbild und beschreiben dabei die Anwendung der
Pflanzentheorie von Jan Scholten. Für Ulrike Schuller-Schreibs
infektanfällige Patientin ist Venus mercenaria das Mittel, um
ihre Abwehrkräfte optimal zu unterstützen.
Bei Virusinfekten spielt die gezielte Stärkung der Lebenskraft
und damit des Immunsystems mangels Alternativen eine be-
sonders wichtige Rolle. Für das humane Papillomavirus zeigt die
Gynäkologin Ute Bullemer, dass unter der Behandlung mit ho-
möopathischen Sykosemitteln wie Thuja oder Acidum nitricum
nicht nur Kondylome verschwinden, sondern sich auch patho-
logische Zervixabstriche mit Dysplasien normalisieren können.
Ähnlich eindrucksvoll sind die Behandlungserfolge der indischen
Autoren von der homöopathischen Akademie „The Other Song“
in Mumbai bei Infektionen durch Herpes-Viren.
Gerade in den Ländern der Dritten Welt wird die Homöopa-
thie auch bei infektiösen Krankheiten eingesetzt, die in Europa
ausschließlich antibiotisch behandelt werden. Das gilt in Indien
zum Beispiel für die Tuberkulose, die dort häufig durch multire-
sistente Tuberkelbakterien hervorgerufen wird. Viele Betroffene
sprechen auf die Standardtherapie nicht an oder sie leiden unter
den massiven Nebenwirkungen der Reservemedikamente oder
sie können sich diese einfach nicht leisten. Welche Chancen die
Homöopathie in dieser Situation bietet, wird an der Kasuistik
von Dinesh Chauhan deutlich. Vergleichbar mit der Tuberkulose
in Indien, aber im Ausmaß noch größer, sind die Probleme mit
dem HIV-Virus in Afrika. Auch dort sammelt man Erfahrungen
mit der Homöopathie. Über das Engagement von Jeremy Sherr
hat SPEKTRUM schon wiederholt berichtet. In unserer aktuellen
Ausgabe berichtet Jan Scholten über seine Pilotstudie bei AIDS-
Patienten in Afrika mit einem homöopathischen Komplexmittel,
das in vielen Fällen zusätzlich zu antiretroviralen Medikamenten
eingesetzt wurde. Ein deutlicher Anstieg der Lebenskraft war
mit einem auffälligen Rückgang opportunistischer Infektionen
verbunden.
Während heutzutage Homöopathen vielfach die Kompetenz
und die Berechtigung zur Behandlung von Seuchen wie TBC
oder AIDS abgesprochen wird, waren es gerade die Heilerfolge
bei einer ebenso tödlichen Seuche, der Cholera, die der Ho-
möopathie im 19. Jahrhundert zum Durchbruch verhalfen. Wir
nehmen diesen Aspekt der Medizingeschichte zum Anlass, um
für ein komplementäres Miteinander von Schulmedizin und
Homöopathie in der Seuchentherapie zu plädieren. Mit dem
bereits von Hahnemann beschriebenen Genius epidemicus
haben wir die Möglichkeit, bei akuten Ausbrüchen von Infek-
tionskrankheiten frühzeitig gezielt auf die Abwehrkräfte der
betroffenen Patienten einzuwirken. Franz Swoboda diskutiert
an seinen Erfahrungen mit Antimonium tartaricum und der
Mykoplasmen-Nosode Nutzen und Risiken in der Anwendung
des Genius epidemicus. Im besten Fall kann uns dieser sogar
dazu verhelfen, endlich das Simile für einen chronisch kranken
Patienten zu finden. Aber auch ohne solche Glücksfälle gebührt
der Homöopathie ein fester Platz in der Therapie akuter wie
chronischer Infekte.